Erste Auswertung Bundesparteitag und Diskussion über die Zukunft der Partei

Liebe Genossinnen und Genossen,

Der Parteitag in Erfurt ist nun seit ein paar Tagen vorbei. Wir möchten uns bei den vielen Genossinnen und Genossen bedanken, die mit uns im Vorfeld und auf dem Parteitag sachlich diskutiert haben. Wir haben uns gefreut, endlich wieder von Angesicht zu Angesicht, viele von Euch zu treffen. Das waren echte Lichtblicke eines ansonsten eher negativ zu bewertenden Parteitages.

Warum? Viele von euch hatten mit uns gemeinsam große Hoffnungen und Arbeit in diesen Parteitag gesetzt, damit es zu einer strategischen und personellen Kurskorrektur kommt, die wir angesichts der existenziellen Krise unserer Partei dringend brauchen. Diese ist ausgeblieben. Erstaunlicherweise wurde über die existenzielle Krise der Partei und ihre Ursachen (leider auch in der ansonsten rhetorisch guten Rede von Janine Wissler) kaum gesprochen oder diskutiert. Auch die sich abzeichnende massenweise Enteignung der Menschen durch hohe Inflation und die wachsende Wut und Verzweiflung der Bevölkerung gegenüber der Ampel-Politik, war unterbelichtet. Welches Zeichen haben wir diesen Menschen von unserem Parteitag gesendet, dass wir für sie und mit ihnen kämpfen werden?

Mit Blick auf die Umfragen und den Unwillen einiger in der Partei, überhaupt materialistisch und dialektisch zu denken und zu diskutieren, haben wir Zweifel. Und zwar daran, ob DIE LINKE – angesichts des wachsenden Einflusses der Berliner und Thüringer Regierungslinken einerseits und einem von der Masse der Bevölkerung entrückten Bewegungsfetisch anderseits – noch zu retten ist. Mit diesen Zweifeln sind wir offenbar nicht allein.

Sören Pellmann, der unsere Partei mit der Verteidigung seines Direktmandats vor dem Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit bewahrt hat, hatte auf diesem Parteitag keine Chance. Gewählt wurden Janine Wissler und der Europaabgeordnete Martin Schirdewan. Dies hat auch dazu geführt, dass einige unserer Kandidierenden für den Parteivorstand ihre Kandidaturen zurückgezogen haben. Friederike Benda hat dies auf dem Parteitag in ihrer Rede ausführlich begründet (08:45:55).

Sie alle teilen die Überzeugung, dass wir – angesichts des Abgrundes, auf den wir zusteuern – jemand am Steuer haben sollten, der die Realität zur Kenntnis nimmt und die Richtung auch tatsächlich ändern möchte. Auch die verbliebenen Kandidat:innen der SL bzw. der populären Linken wurden nicht gewählt.

Und nur mit Mühe ist es gelungen, zentrale friedenspolitische Positionen wie die Ablehnung von Waffenexporten zu verteidigen. Der angenommene Antrag des Parteivorstandes ist mit seiner Öffnung zu Sanktionen und einer einseitigen Darstellung der Kriegsursachen allerdings eine klare Abwendung von unseren bisherigen Positionen aus dem Erfurter Programm! Dank an dieser Stelle u.a. an Özlem Demirel, die den friedenspolitischen, deutlich antimilitaristischen und auch NATO-kritischen Ersetzungsantrag leidenschaftlich begründet hat. Dieser erhielt immerhin dann 43 Prozent der Stimmen der Delegierten – was aber natürlich keine Mehrheit ist.

Die Inszenierung des Parteitags – mit eingespielten Videos aus Russland und der Ukraine, in denen ein militärischer „Sieg der Ukraine“ gefordert und Olaf Scholz für die zögerliche Lieferung von Waffen von rechts kritisiert wurde – fanden wir erschreckend.

Wir bedauern sehr, dass es in der Partei offenbar Fälle von sexuellen Übergriffen gegeben hat. Einige aggressiv moralisierende Auftritte von Genossinnen der Linksjugend empfanden wir dennoch als unangebracht, weil sie den sachlichen Austausch eher erschwerten. Auch die fast schon inquisitorische Stimmung, die (nicht nur) auf dem „Workshop kritische Männlichkeit“ und dem FLINTA-Workshop herrschte, förderte die Diskussionskultur nicht. Nur knapp scheiterte ein Satzungsantrag, der den Parteivorstand zur Verhängung von Strafmaßnahmen gegen Genoss:innen, denen Übergriffe jeglicher Art vorgeworfen werden, ermächtigen sollte. Natürlich akzeptieren auch wir keine Übergriffe, aber es ist eine gefährliche Umkehr aller rechtsstaatlicher Prinzipien, Strafen allein und quasi vorsorglich wegen Vorwürfen zu verhängen.

Unsere Änderungsanträge zum Leitantrag 1 wurden leider abgelehnt. Sie sollten etwas Realismus und ein Profil mit dem Schwerpunkt der sozialen Gestaltung des ökologischen Umbaus, die von einer Perspektive der abhängig Beschäftigten ausgeht, im Beschluss zu verankern.

Wir als SL geben jedoch nicht auf. Und wir werden nicht in Fatalismus oder Larmoyanz verfallen. Wir verstehen, wenn einige Genossinnen und Genossen enttäuscht sind von der Partei. Aber wir halten Schnellschüsse und Affekthandlungen jetzt für kontraproduktiv und wollen einen Findungsprozess starten.

Denn angesichts sich zuspitzender Krisen und Katastrophen (zu deren Analyse der Parteitag leider wenig beitrug), absehbarer Verarmung und Not großer Bevölkerungsschichten bei gleichzeitiger Hochrüstung wird eine soziale und friedenspolitische Opposition jetzt mehr als dringend gebraucht. Wie das geht, hat Amira Mohamed Ali in ihrer starken Rede demonstriert.

Am Wochenende wollen wir auf der Sommerakademie die politische Lage und Aussichten der Linken nach dem Parteitag diskutieren. Ihr könnt euch hier noch spontan anmelden. Ein paar Plätze sind noch frei. Unter Berücksichtigung dieser Diskussion werden wir noch eine ausführlichere Analyse vorlegen.

Es gibt bereits Überlegungen, im Herbst eine größere Konferenz der "populären Linken" durchzuführen, auf der gemeinsam Strategien und Perspektiven entwickelt werden sollen. Weist gerne alle Genossinnen und Genossen auf den Aufruf https://populaere-linke.de/ hin. Alle, die den Aufruf unterzeichnet haben, werden rechtzeitig über Aktivitäten wie die erwähnte Konferenz informiert und eingeladen werden.

Solidarische Grüße

Euer BundessprecherInnenRat der SL